Am 6. Mai 2023 startete die 8. Reihe der Deutsch-Armenischen Kulturtage in Berlin mit der Kunstausstellung vom Berliner Künstler Avo Arakelian.
Den Auftakt zur feierlichen Eröffnung der o.a. Kulturtage gab Herr Mikayel Minasyan, 1. Vorsitzender des Verbandes der Europäischen und Armenischen Fachleute e.V. Er begrüßte die anwesenden Gäste und merkte an, dass der Krieg in der Ukraine, die humanitäre Katastrophe nach den Erdbeben in der Türkei und in Syrien und auch der Konflikt in Berg-Karabach: Schwierige Lebensverhältnisse wie diese prägen unsere heutige Welt. Was braucht die Menschheit, um dennoch den Mut nicht zu verlieren?
Hoffnung, Barmherzigkeit und Liebe. Das alles verkörpert der Frühling, der auch ein Symbol des Neustartes und Motto der diesjährigen Deutsch-Armenischen Kulturtage ist.
Dann ergriff Dr. Catrin Gocksch, Bezirkskulturstadträtin Berlin-Lichtenberg das Wort und blickte zu den sieben Reihen der Deutsch-Armenischen Kulturtage in Berlin zurück, lobte die Initiative des Vereins AEAE e.V. und versprach eine tatkräftige Unterstützung seitens des Bezirksamtes Berlin-Lichtenberg bei der Organisation des bevorstehenden 10jährigen Jubiläums der o.a. Kulturtage.
Prof.Dr. Martin Pätzold (MdA) erinnerte sich in seiner Rede an seine frühverstorbene Mutter, Bundeskreuzträgerin Alina Pätzold, die Eine der Initiatoren der Deutsch-Armenischen Kulturtage war und dass die armenischen Kulturtage noch einmal die Rolle der Kultur dieses Volkes in Deutschland hervorheben und ein Zeichen setzen, dass die armenische Kultur als Eine der ältesten Kulturen der Welt insbesondere in der Christianisierung u.a. auch Deutschland beeinflusst hatte. Dann merkte er, dass der Frieden von Deutschland unterstütz werden soll, wie wir die Ukraine unterstützen. So sollen auch die Armenier in ihren Friedensbemühungen in Berg-Karabach und in Armenien von Deutschland unterstützt werden, bei der Friedensstiftung spielt die gegenseitige kulturelle Verständigung eine große Rolle.
Im Anschluss trat der Botschafter der Republik Armenien SE Viktor Yengibaryan mit einer Begrüßung auf und betonte die Gemeinsamkeiten der deutschen und der armenischen Kultur. "Viele armenische Intelektuellen haben in Deutschland studiert und sind von der deutschen Kultur geprägt", so der Botschafter. Er erwähnte auch die Blockade von Berg-Karabach seitens Aserbaidschans und sagte, dass solche Veranstaltungen eben für den Frieden und für das friedliche Zusammenleben sorgen.
Die Kunstausstellung wurde musikalisch von Varujan Simonian mit dem Violinespiel umrahmt.
Die Kunstausstellung des Künstlers Avo Arakelian trug die Überschrift "Farbenfrohe Barmherzigkeit". Der studierte Künstler, Avo Arakelyan, in Teheran geboren, lebt in Berlin und arbeitet in der Charlottenburger Trinitatis-Kirche.
Der Künstler selbst charakterisierte sein Schaffen wie folgt:
„Die Farben, mit denen ich auf der Leinwand umgehe, sind die Regenbogenfarben als Sinnbild für den Frieden. Sie geben mir Geduld und Ruhe. Meine Bilder seien bunt, schreiben mir viele, doch sehe ich deren Mischung als grau. Das Licht ist meine erste Blicktiefe, welche die drei Dimensionen erfasst. Ich will mit den Farben etwas in Bewegung setzen und erneuern. Die Sonne als Reflexionsfläche strömt Energie aus. Meine Farben bauen sich im Raum auf. Kontrastfarben ziehe ich vor - ein Arzt hat sie mir empfohlen.“
Die Ausstellung wurde von der Kunsthistorikerin Christa Bietz kuratiert und ausgelegt. Nachstehend stellen wir ihre vollständige Rede zur Ausstellung "Farbenfrohe Barmherzigkeit" dar:
"Farbenfrohe Barmherzigkeit
Liebe Kunstinteressierte,
die Welt der Kunst ist in aller Regel eine intuitive Welt, nicht wahr. Entweder gefällt einem ein Kunstwerk oder eben auch nicht. Und doch können eine intensive Betrachtungsweise oder das Hinzufügen von Hintergrundwissen zum Überdenken der gefühlsmäßigen Beurteilung führen.Und das kann erhellend, inspirierend und sehr spannend sein. So lassen Sie uns einmal gleich mit dem Titel beginnen.
„Farbenfrohe Barmherzigkeit“ - was für ein eigenwilliger Titel für eine Kunstausstellung! Oder? Als ich davon erfuhr, war ich bass erstaunt. Farbenfroh, nun, das sieht man ja. Aber farbenfrohe Barmherzigkeit?
Barmherzigkeit ist doch - im christlichen Sinne - eine Charaktereigenschaft! Barmherzig ist eine Person, die ihr Herz öffnet, die Not anderer wahrnimmt und entsprechend helfend handelt. Barmherzigkeit fordert also ein aktives Reagieren, das über bloßes Mitleid hinausgeht.
Handelt es sich bei dem Titel somit um eine Metapher, ein rhetorisches Stilmittel, das zwei Bereiche, zwei Begriffe miteinander verknüpft, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben, wie z.B. „einfältiger Pinsel“ oder „aus dem Rahmen fallen“ - und dient damit dem Zweck, mithilfe einer bildhaften Sprache, Fantasie zu wecken, Gefühle, Stimmungen und Assoziationen hervorzurufen, kurzum, vor allem neugierig zu machen?
Nun, durchaus - aber eben nicht nur.
Denn zeugt es nicht in hohem Maße von Barmherzigkeit, wenn ein Künstler - wie Avo Arakelian - u.a. die große Not und das unsägliche Leid des armenischen Volkes wahrnimmt und dabei eben nicht nur in Mitleid verharrt, sondern darüber hinaus mit seinen künstlerischen Mitteln aktiv darauf reagiert, indem er mit seinen Bildern die Erinnerung an die wechselvolle Geschichte dieses Landes und seiner daraus vertriebenen Menschen wachhält und von ihrer unstillbaren Sehnsucht nach der verlorenen Heimat, nach Frieden, Freiheit und Glück erzählt?
Avo Arakelian kennt dieses leidenschaftliche Gefühl. Er ist im Herzen ein Armenier. Er wurde zwar im Iran geboren und hat dort bis 1978 gelebt. Doch seine Vorfahren stammen aus Armenien. So hat man in der Familie nicht allein die armenische Kultur und Tradition gepflegt, sondern sich vor allem auch intensiv mit der politischen Geschichte auseinandergesetzt, was besonders deutlich die drei großen Porträts in der Ausstellung widerspiegeln.
Sie wurden am 24. April 2007 anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Genozids an den Armeniern im Berliner Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt ausgestellt.
(s. dort das Porträt von Johannes Lepsius, daneben das von Dr. Armin Theophil Wegner, darunter von Hrant Dink).
Diese drei Männer haben sich - auf unterschiedliche Weise - unerschrocken und beharrlich dafür eingesetzt, dass der brutale Völkermord an den Armeniern (beginnend am 24./25. April 1915) nicht in Vergessenheit gerät, weltweit endlich anerkannt, aufgeklärt und Genozid genannt wird.
Schauen wir uns einmal das Porträt von Armin Theophil Wegner näher an (einem promovierten Juristen, pazifistischen deutschen Schriftsteller), der u.a. als Sanitätsoffizier in Ost-Anatolien tätig gewesen ist und zum Augenzeugen der Vertreibung der Armenier und des Völkermordes wurde. Er hat all das entsetzliche Geschehen - unter Lebensgefahr - fotografisch und literarisch festgehalten und unermüdlich, aber vergeblich dagegen interveniert. Er zählt in Armenien und Israel zu den „Gerechten der Völker“.
Es ist ein gerahmtes Porträt, das in dem Gesamtbild ganz hinten in der linken Ecke auf dem Boden steht. Es zeigt auf himmelblauem Hintergrund einen Mann in seinem 8. Lebensjahrzehnt mit Strohhut, sonnengegerbt, den Blick - nachdenklich, melancholisch und skeptisch - nach rechts oben in die Ferne gerichtet. Und obwohl dieses Bild weniger als die Hälfte des großen Bildes einnimmt, übt es dank seiner Platzierung eine geradezu raumgreifende Sogwirkung aus.
Bei näherer Betrachtung fallen die beschriebenen Blätter auf der rechten Seitenwand auf. Es sind Briefe, die nicht nur gemalt, sondern auch zerschnitten sind, und zwar durch die Leinwand hindurch mit radikalen Schnitten, wie wir sie - in anderer Weise und mit anderem Ziel - von Lucio Fontana, dem argentinisch-italienischen Avantgardekünstler der ersten Nachkriegsgeneration kennen.
Sie verweisen auf die vielen vergeblichen Briefe, Aufrufe und Artikel, die Wegner schrieb, um auf die Vertreibung und Ermordung der Armenier im Schatten des 1. Weltkrieges aufmerksam zu machen, die er - wie bereits erwähnt - hautnah miterlebte. Er hat u.a. Woodrow Wilson, den 28. Präsidenten der USA, - vergeblich - aufgerufen, etwas gegen diese entsetzlichen Gräueltaten zu unternehmen. Und darüber hinaus sind sie ein Symbol für die tiefen Verletzungen, die ihm auch körperlich zugefügt worden sind.
Doch kennt Avo Arakelian nicht nur die wechselvolle, bittere Geschichte Armeniens, sondern auch die unstillbare Sehnsucht nach Frieden, Freiheit und Glück - und findet auch dafür beeindruckende und auch vieldeutige Bilder.
So wie dort etwa in dem Bild „Krieg und Frieden“. Der Künstler - mit Pinsel und Palette - betrachtet eine junge Frau, die einen Globus in ihren hoch erhobenen Händen hält. Will er sie malen? Doch wo ist seine Staffelei? Oder hat er vielleicht gerade noch an dem großen Bild gearbeitet, vor dem sie beide stehen? - Ein Bild, das auf Kampf und Krieg verweist, da im Hintergrund ein Panzer und eine Feuersbrunst zu sehen sind sowie eine davor stehende schlanke Person in Soldatenuniform samt Helm, deren Mund maskenähnlich mit einer Fahne bedeckt ist. Es handelt sich um die Fahne von Bergkarabach. Und da dieses Werk 2020 entstanden ist, wird somit gewiss auf die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Aserbaidschan und Armenien um Bergkarabach verwiesen. Aber vielleicht ist das gar kein Bild, sondern vielmehr ein großer Spiegel? Dagegen würde allerdings sprechen, dass u.a. die Farbe der Fußböden unterschiedlich ist.
Auch die uniformierte Person trägt mit hoch erhobenen Händen einen Globus, etwa so, wie man eine Trophäe oder einen gewonnenen Pokal in die Höhe hält, stolz und siegesgewiss, aber auch, um Mut zu machen, dass sich Ausdauer, Disziplin und Einsatz lohnen und zum Sieg führen können.
Und warum nur gleicht die vom Künstler angeschaute Frau jener Person in Haltung samt Globus und Figur - wie ein eineiiger Zwilling dem anderen, lediglich mit dem Unterschied, dass sie anders gekleidet ist? Warum steht sie so, dass sie bei der Kopfhaltung nicht das ganze Bild sehen kann?
Nun, vielleicht will sie einfach nicht an Kampf und Krieg erinnert werden. Denn verführerisch und leicht, von einengender Kleidung befreit - steht sie da, als habe sie gerade etwas erlebt, das sie derart glücklich macht, dass
sie im Überschwang der Gefühle schier die ganze Welt aus den Angeln heben möchte? Ja, vielleicht will sie einfach nur ihr Glück genießen und so tun, als gäbe es keinen Krieg.
Die Realität verdrängen, um wenigstens für kurze Zeit Frieden zu finden? Verständlich oder problematisch? Gleichwie, es wird auf surrealistische Weise von der großen Sehnsucht nach Frieden erzählt.
Und auch das mit „Frieden und Freiheit“ betitelte Bild dort handelt von der Sehnsucht. Es zeigt eine bunte große Vogelschar, die nicht etwa unentschlossen einen dunklen Tunnel umkreist, sondern vielmehr - zielstrebig und dicht an dicht, aber ohne einander zu behindern - durch die Dunkelheit zum Licht strebt, einem Licht, das bereits zu sehen ist und verheißungsvoll Freiheit, Frieden und Neuanfang verspricht. Ein Bild, das hier an der Stirnseite und auf dem Flyer Zuversicht und Optimismus ausstrahlt.
Ebenso wie das Bild dort mit den vielen Schildkröten. Sie gehören zu den Kriechtieren, deren Vorankommen durch ihren Panzer stark behindert wird. Sie stehen für Weisheit, Stärke, Ausdauer und Hartnäckigkeit und werden von denen, die kühne Ziele verfolgen, als Glücksbringer angesehen. Voller Zuversicht streben sie zum Ararat, dem mehr als 5.100 m hohen Berg, auf dessen Hängen nach biblischer Tradition die Arche Noah landete und sich erstmals der Regenbogen zeigte. Der Berg ist das nationale Symbol der Republik Armenien und wird im Wappen geführt. Er liegt nur 20 km von Eriwan entfernt und ist dennoch für die Armenier unerreichbar, da er jenseits des armenischen Staatsgebiets liegt - im östlichen Zipfel der Türkei. Und da die Türken - aus nachvollziehbaren Gründen - als ziemlich beste Feinde angesehen werden und die gemeinsame Grenze seit Jahren geschlossen ist, können sie ihren heiligen Berg nur aus der Ferne betrachten und so bleibt er für sie derzeit wohl ein unerreichbarer Sehnsuchtsort.
Und schauen wir uns das Bild „Zuversicht“ an: Zwei Vögel sitzen auf einem Zweig - nicht etwa voller Gelassenheit, vielmehr in einer Art Hab-Acht- Stellung. Sie wittern Gefahr, sehen zwar nicht das Kampfflugzeug rechts oben am Himmel, spüren aber, dass sich plötzlich heftig die Halme und Blätter auf der Wiese unter ihnen bewegen. Trotzdem fliegen sie nicht fort. Egal, ob das daran liegt, dass der Bomber auf Grund seiner Schnelligkeit nur kurz so verstörend wirkt oder weil ein Engel sie mit seinen Flügeln barmherzig umfängt und so fürsorglich handelt wie dort drüben auf dem tröstlichen Bild der Mann, der liebevoll die gebrechliche Frau stützt.
Nicht wahr, die Bilder von Avo Arakelian zeugen von großer Barmherzigkeit im zu Anfang definierten Sinne. Ihm ist es ein Bedürfnis, mit seinen künstlerischen Mitteln nicht nur die Erinnerung an die wechselvolle Geschichte Armeniens und das Schicksal der daraus vertriebenen Menschen wach zu halten, sondern auch von der großen Sehnsucht nach Frieden, Freiheit und Glück zu erzählen und Mut, Zuversicht und Hoffnung zu wecken.
Avo Arakelian ist ein wachsamer, nicht zu unterschätzender Beobachter, ganz so, wie es sein Selbstporträt (dort) beschreibt: Auf den 1. Blick hat er beide Augen geschlossen. Doch bei näherer Betrachtung sieht man, dass sein rechtes Auge hellwach ein wenig geöffnet bleibt, ihm also nichts entgeht und er - trotz alledem - das Weltgeschehen zwar verschmitzt lächelnd, aber doch kritisch betrachtet.
Das lässt sich besonders gut im Bild namens „Glück“ erkennen. Es ist ein ruhiges, heiter und gelassen stimmendes Bild in leuchtenden, fröhlichen Farben. Es zeigt vier bunte Vögel, zwei fliegen herbei, zwei Vögel sitzen sich - wie auf einer Wippe - gegenüber. Sie sind so leicht, dass man keine Angst zu haben braucht, dass, wenn einer von ihnen wegfliegt, der andere notgedrungen ins Schleudern gerät. Und ohnehin handelt es sich ja nicht um eine richtige Wippe, denn ein darauf ruhender Baumstamm sorgt für Unbeweglichkeit. Alles scheint im Lot, alles im Gleichgewicht zu sein, sanft umspielt von Wasser.
Doch warum nur stimmt das Bild so heiter und friedvoll, obwohl es doch den Stamm eines von Menschenhand gefällten Baumes in den Mittelpunkt rückt, und zwar eines Baumes, der - wie sich an den Jahresringen der Schnittfläche des Stammes ablesen lässt - weder alt ist noch Hinweise auf Schäden aufweist und obendrein auch noch in farbenfroher Blüte steht? Es ist ein tiefgründiges, widersprüchliches Bild, das bei genauem Hinschauen viele Fragen aufwirft.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Betrachten aller Bilder dieser Ausstellung und gute Gespräche.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Christa Bietz
Berlin, den 6. Mai 2023