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Tourismus und Infrastruktur – zum transnationalen Charakter der armenischen Kultur

09-12-2014
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Meine Damen und Herren,

 

ich bin von Haus aus Ethnologe und beschäftige mich in dieser Eigenschaft schwerpunktmäßig mit armenischer Gedächtniskultur, wobei das ausdrücklich den Genozid umgreift, aber darüber hinausgeht.  

In Armenien selber war ich das erste Mal im Jahre 1991, zwei Monate vor der Unabhängigkeitserklärung. Meine persönliche Verbindung zur armenischen Kultur – nach der Kategorisierung Monte Melkonians wäre ich als Nicht-Armenier armenischer Herkunft zu bezeichnen – wurde mir erst damals bewusst, verschwindet allerdings hinter meinem Forschungsinteresse.  

Mein Ansinnen, das ich hier vorstellen will, hängt eng mit meinen eigenen Erfahrungen in den letzten zwei Jahrzehnten zusammen, die ich, entsprechend geformt, in ein Website- verbunden mit einem Tourismusprojekt einbringen möchte. Ich möchte das anhand einiger Erlebnisse und Erkenntnisse vertiefen. Dabei kommt es darauf an, sich mein damaliges Erstaunen über eine mir fremde Kultur unter den Umständen, in denen sich Armenien im Jahre 1993 befand, vorzustellen. Viele von Ihnen werden sich an die Zeit erinnern – jedoch als Einheimische, die dort geboren wurden. Ich machte damals u.a. die Bekanntschaft mit Samvel Mkrtschyan, den vielleicht der eine oder andere von Ihnen kennt: Er ist anglophon und begeisterter Übersetzer. So hat er u.a. James Joyces Ulysses sowie Shakespeare ins Armenische übersetzt, umgekehrt übertrug er Werke armenischer Dichter ins Englische. Eine Tätigkeit, wie wir sie für die armenische Kultur seit alters her kennen. Und dieser Samuel und ich verbrachten im kalten Herbst und Winter so manche Sitzung zusammen in dem Büro einer Zeitschrift der Orientwissenschaft, für die er arbeitete. Und Samvel bastelte aus einem elektronischen Sprachfonds das armenische Alphabet. Es mag heute trivial klingen, aber mich packt noch heute diese Zeit –  die Kälte, der Wodka und das Aibuben in der Nähe der Metro Baregamutiun.  

In der Gedächtnistheorie, mit der ich mich beschäftige, gebrauchen wir für diese Phänomen den Begriff der Inkorporation: äußere Einflüsse, Fremdes wird über Transformationsleistungen in das Eigene übersetzt. Das fängt mit der Religion an, geht über die Einführung der Schrift bis in besagte Techniken. Vor zwei Jahren feierten wir 500 Jahre armenischen Buchdruck, was nichts anderes als die Inkorporation damals modernster Technik in die eigene gesellschaftliche Sphäre bedeutete. Übrigens besaß auch Samvel für seine Arbeit als Chefredakteur einer Zeitung im gleichen Jahr einen damals aktuell hochwertigen Laserdrucker, was aber nicht von jedem Kunden geschätzt wurde. So wurde ich einmal Zeuge einer erregten Auseinandersetzung zwischen Samvel und einem älteren Herren, der, wie Samvel mir später übersetzte, sich darüber erboste, dass das Schriftbild, das der Laserdrucker hergab, nicht dem entsprach, was die Schreibmaschine des älteren Herrn herzugeben wusste. Er wollte tatsächlich das gleiche Schriftbild haben und lehnte aufgrund dessen den Laserdrucker ab!!  

In seinem Festbeitrag zum zehnjährigen Bestehen des in Halle ansässigen MESROP-Zentrums für Armenische Studien korrelierte der in Jerewan lehrende Kunsthistoriker und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für armenische Kunstgeschichte, Levon Chookaszian, die geopolitische Lage des historischen Armeniens als Teil des „Gebiet(s) der Landhandelsrouten zwischen Europa und Asien“ mit der hieraus sich ergebenden Konsequenz, tragender Pfeiler des internationalen Handels und damit auch Basis des armenischen Wirtschaftshandelns zu sein. Die armenische Kultur hat eine (ver)mittelnde Funktion und zieht hieraus ihre kulturhistorische Größe. Der transnationale Charakter der Armenier ist einer der wichtigsten Pfeiler, auf dem diese Kultur sich stützen kann. Bei Chookaszian schien es jedoch so zu sein, dass er diesen Charakter zugunsten eines rein nationalen umformulieren wollte.  

Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, das Transnationale gegen ein Nationales zu stellen. Wenn Charles Aznavour von sich sagt, er sei Armenier und Franzose, so muss man das ernst nehmen und das eine nicht dem anderen subsummieren. William Saroyan bringt das als einmalige Performance zum Ausdruck: Sein letzter Wille bestand darin, seine Asche in drei Teile zu teilen: Ein Drittel ging nach Kalifornien, wo er geboren wurde, ein Teil nach Westarmenien, der Heimat seiner Vorfahren, und der letzte Teil in die Republik Armenien, der symbolischen Heimat. Die Dreiteilung der Asche symbolisierte die persönliche, ja, auch allgemein armenische Trennungsgeschichte und brachte sie zur Inszenierung. Gleichermaßen wurden in der Aktion die Territorien in Raum und Zeit  verbunden – eine Leistung, die transnationalen Charakter trägt.  

Wir können sagen, dass, historisch fundiert, Problem und Chance der Beziehung zwischen den Diaspora-Armeniern in der Welt und der Republik Armenien in ihrem Verhältnis zueinander begründet ist. Ich beziehe mich dabei auf einen, so scheint es, programmatischen Artikel der Diaspora-Ministerin der Republik Armenien, Frau Hranusch Hakobian, aus dem Jahre 2008. Der im Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen 2008 geschriebene Beitrag ist für mein Ansinnen insoweit von Belang, als er mir besagtes Verhältnis aufzeigt. In diesem Aufsatz stellt sie das Programm der Regierung vor, das von einer „Bündelung des Potentials um die Heimat herum“ spricht. Damit meint der Präsident konkret auch die Armenier in der Diaspora. Das Problem, was ich bekam, war, dass ich als Deutscher in der Fremde fremd bin, die in der Fremde geborenen Armenier ALS Diaspora-Armenier aber Fremde in der Heimat sind und der Republik Armenien als postulierter Heimat fremd. Das ist wesentlich. Und das geht bei dem Vergleich der Frau Ministerin etwas verloren, wenn sie von einer „Bündelung des Potentials um die Heimat herum“ spricht. Denn das Verhältnis der Republik Armenien zu den armenisch-stämmigen Menschen in der Diaspora ist viel komplizierter als dasjenige der Deutschen beispielsweise, die im Ausland leben. Implizit scheint sich dessen auch die Ministerin bewusst zu sein, wenn sie folgende feinsinnige Unterscheidung macht. Sie spricht, ich zitiere, von der „Repatriierung oder wichtiger, <i>hajadartsutiune</i>. Das bedeutet, nicht nur die physische Rückkehr des armenischen Volkes der Diaspora und Armenien, wie wünschenswert und förderlich diese Erscheinung auch sein mag, sondern die „Repatriierung“ (Rückkehr) zu den Wurzeln“   Dieser Satz hat uns damals beschäftigt, denn das Wort <i>hajadartsutiune </i>scheint eine Wortneuschöpfung zu sein. Das für die Beziehung gebräuchliche Wort lautet <i>hajrnadartzutjun</i>. Für <i>hajadartzutiun</i> fanden wir keine Übersetzung. Es ist eine Art innere Rückkehr zu den Werten der Identität, was gedacht wird als etwas, das man auch in Buxtehude als Armenier empfinden kann. Welche Politik sich hinter der Einführung des Wortes verbergen mag, ist hier irrelevant. Vielmehr möchte ich darauf hinweisen, dass die ideelle Unterscheidung zwischen <i>hajadartsutiune </i>und <i>hajrnadartzutjun</i> für das Verständnis des Problems wesentlich ist. <i>Hajrnadartzutjun</i> meint den Armenier in physischer Hinsicht, der in die Heimat zurückkehrt. <i>Hajadartsutiune</i> meint im Kontext des Programms ein nicht näher bezeichnetes „Armenisches“, nämlich <i>haj</i>, was zur Wurzel zurück will oder soll. Der politische Wert dieser Differenzierung ist nicht mein Thema, ich fühle mich aber erinnert an das von Khorenatsi gebrauchte Wort <i>Hayots' patmut'iwn</i> nicht nur für den Begriff „Armenische Geschichte“, sondern auch für „Geschichte der Armenier“. Zwischen beidem besteht aber eine Differenz. Ich habe diesen Gedanken – wie so vieles – Levon Abrahamian zu verdanken, der in Armenien mein Lehrer war – und immer noch ist – und mich wie kein anderer in die Geheimnisse der armenischen Kultur einführte, ohne mich davon besessen machen zu wollen. Er machte hier die wichtige Ergänzung, dass in der ostarmenischen akademischen Tradition der wissenschaftspolitische Kontext dieser Differenz zugunsten einer Interpretation wich, nach der die Geschichte der Armenier nach dem Prinzip des Historischen Materialismus geschichtliche Stadien durchschritt, an deren Ende für Armenien, wie wir wissen, jedoch nicht der Kommunismus, sondern die Karabach-Frage stand. Ich habe dafür die Formel gefunden: Keine Sowjetunion ohne Armenien, aber auch keine mit Armenien und spiele damit auch auf die Anfangsgeschichte der UdSSR an. Und Frau Hakobyan meint exakt mit <i>hajadartzutiune</i> das aus der Differenz erwachsene Dilemma mit historischem Ausmaß, was durch das Wort jedoch nicht aufgelöst, sondern eher verdeutlicht wird.   Wir sehen hier in beiden Fällen, dass es wichtig ist, eine Sicht auf das Verhältnis zwischen Diaspora und Republik zu gewinnen, die dem transnationalen Charakter der armenischen Kultur gerechter wird und beides einschließt, keinesfalls das eine dem anderen unterzuordnen trachtet.   Den hieraus sich ergebenden Aufgaben möchte ich meine Arbeit widmen.  

Erstellt werden soll eine Website, deren Inhalt auf drei Pfeilern basiert.   ARMENISCHE GESCHICHTE UND KULTUR Ein Grundpfeiler für die in §2 (2) der Satzung der Assoziation anvisierten Punkte ist meines Erachtens ein Überblick über armenische Geschichte und Kultur, die über das reine Gedenken an Genozid hinausgeht. Ich verfüge über einen reichen Fundus an Materialien, um dies auszubreiten. Eng damit zusammen hängt der wissenschaftliche Bereich.   NACHRICHTEN/INFORMATIONEN Angeregt durch eine in Facebook angebotene Site mit dem Namen „New Eastern Politics“, die von einem Libanon-Armenier unterhalten wird und einen m.E. sehr guten Überblick über das aktuelle politische Geschehen in Nahost gibt, habe ich mir überlegt, inwieweit es nicht wichtig und vonnöten ist, Ähnliches hier zu machen. Das bedeutet, dass wir hier auf unserer Site die Diaspora-Länder sozusagen zusammenfließen lassen. Ich hatte zuerst überlegt, das für den Binnenbereich der in Deutschland lebenden Armenier anzubieten, habe dann aber davon Abstand genommen. Vielmehr soll es ein Portal sein, über das Interessierte aus dem Binnenbereich an Diaspora-Nachrichten aus aller Welt herankommen sollen.  

TOURISMUS   Tourismus ist m.E. ein interessanter Zweig, um die Reichhaltigkeit der armenischen Kultur bekanntzumachen. In Armenien selbst habe ich im Zusammenhang mit dem Besuch von deutschen Jugendgruppen Führungen gemacht, hauptsächlich auf Tsitsernakabert, dem Genozid-Denkmal, das ich in meinem Buch, das, so hoffe ich, nächstes Jahr herauskommen wird, untersuche. Der Reiz einer solchen Aufgabe ist es, interessierten Touristen keinen normalen Pauschal-Urlaub anzubieten, sondern anhand der vielen Artefakte, Bauten und Baudenkmäler ein intensiveres Bild der Republik Armenien anzubieten. Ich habe diesbezüglich sowohl hier in Deutschland als auch in Armenien Kontakte geknüpft, die ich mit Beginn des nächsten Jahres intensivieren werde wie auch die ganze Arbeit an meinem Projekt nächstes Jahr intensiv anrollen wird.  

 

Jürgen Gispert

Ethnologe und Soziologe an der Universität Leipzig

 

Vielen Dank